In den 90er-Jahren wurde viel darüber geforscht, was zur DDR-Literatur gehört und wie sie dazu wurde. Aber schon in den 2000-er Jahren wurde es immer stiller um solche Forschungsansätze. Nun, 30 Jahre „danach“, kommt eine Rückbesinnung in Gang und es finden wieder Überlegungen statt, wie man die Literatur aus der DDR noch einmal von einer anderen Seite sehen könnte: Auf einer Tagung im Mai nächsten Jahres im Literaturhaus Halle soll die Reportage-Literatur der DDR zum Thema werden.
U.a. soll die Modernität der DDR-Literatur, der ursprünglich eine urdemokratische Intention zu Grunde gelegen haben soll, erneut beleuchtet werden.
Thomas Körner hat mit seinem „Fragmentroman“ betitelten Projekt „Das Land aller Übel“ ein demokratisches Ansinnen gehabt, insbesondere der Leser kann vollkommen autonom handeln und sinnieren (was Körner ensemblieren nennt).
Gegen alle literarischen Vorschriften, die von der Kulturpolitik oder von der SED oder vom eigenen Schriftstellerverband vorgegeben wurden, setzte Thomas Körner von Anfang an seine eigenen Ideen von Literatur und schrieb seinen Fragmentroman.
Warum Roman – weil es die bis dahin freieste literarische Form ist, in der der Schriftsteller arbeiten kann. Körner ist – und bleibt – auf der Suche nach einer neuen Gattung.
Warum Fragment – nicht, weil der Roman Fragment geblieben ist, das ist er nicht, er ist nach Körners Vorstellung vollendet.
Warum Fragment – auch nicht, weil der Roman sich aus Fragmenten zusammensetzt.
Fragment, weil der Leser jeweils eigene (Text-)Fragmente für sich bildet oder bilden kann.
Fragment, weil der Leser sich ein Fragment, ein Teil aus dem Ganzen erliest.
In der DDR gab es zensierte, kontrollierte Literatur, die vom Verlagswesen bis hin zu kulturpolitischen Gremien von Regularien durchwandert war.
Aus den Regularien bildete sich das Leseland DDR und seine demokratische Leserschaft einen (landes-typischen) Kanon, der, wie der Archivar der „Bundesstiftung zur Aufbereitung der SED-Diktatur“ Matthias Buchholz bestätigt, nicht mehr aufzubrechen ist. Die Lese-Erinnerungen lassen sich nach 30 Jahren nicht mehr umbilden. Deshalb wird Literatur, die zu Zeiten der DDR nicht oder wenig gelesen wurde – oder gar nicht gelesen werden konnte, weil sie versteckt gehalten werden musste – keine Chance mehr haben, „dazuzugehören“.
Doch unter diesem Aspekt sollte man Thomas Körners Fragmentroman auch nicht sehen.
Seine Intention war von vornherein, eine neue Literatur zu entwerfen und zu gestalten, die anders ist als bisher, innovative Techniken beim Schreiben zu nutzen und – auf dem Bildschirm – zu veröffentlichen.
Für Körners Schreibprojekt ist nicht die Neu-Erforschung der alten DDR-Literatur oder ihrer Teile ein Aufhänger, sondern man muss die Diskussion über neue Gattungen im Internet erneut aufgreifen, die zum Ende des vorigen Jahrhunderts eingeschlafen ist.