Auszug aus DDR – eine Sprachanstalt – Textbeispiel 1: Neue Zeit

 

 

Thomas Körner hat im Fragment vom Wort u.a. DDR-Parolen, die Fixierung der Sprache für Agitation und Propaganda, die Pressesprache aus Zeitungen wie „Neue Zeit“ und  „Neues Deutschland“ zur Grundlage genommen und sie als Wort-Installationen in die Topographie von Berlin-Ost  eingepasst. Studenten der Fernuniversität in Hagen haben sie genauer untersucht.

Die NEUE ZEIT war während des Bestehens der DDR eine auflagenstarke Tageszeitung der Ost-CDU, die zweifelsohne zensiert wurde und propagandistischen Zwecken diente.

Die Silhouette, von der Körner spricht, wird wohl auf einen Gebäudekomplex bezogen sein, dessen Errichtung 1969 beschlossen worden ist (Investitionskomplex Leipziger Straße). Obwohl das sozialistische Stadtzentrum ursprünglich um den Alexanderplatz herum arrangiert und die Randzonen entlang der Mauer aus dem Bewusstsein der DDR-Bürger verdrängt werden sollten, wurde der Komplex inklusive eines 30-stöckigen Hochhauses dennoch dort, im Zonenrandgebiet, errichtet. Das ehemalige ‚niemandsland entlang der mauer zwischen leipziger straße und pariser platz‘ wurde zu einem bevorzugten Wohngebiet mit Geschäften und einer Rekonstruktion der im Krieg zerstörten Spittelkolonnaden.

Parteipolitisches Ziel dieser Baumaßnahme ist die Unkenntlichmachung der Nachrichtenleuchtreklame am Dach des Hauptgebäudes der GSW (Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft) und die Sichtverdeckung auf das Axel-Springer-Verlagsgebäude in Westberlin gewesen: DDR-Bürger sollten keine Möglichkeit bekommen, die als Provokation verstandenen West-Presse-Meldungen zu lesen. Dass Springer damit nichts zu tun hatte, sondern der Westberliner Senat, verdeutlicht die starke Fixierung auf das Feindbild Axel Springer und damit sinnbildlich auf die westdeutsche Presse.

Körners Collagen-Silhouette aus dem Zeitungstitel NEUE ZEIT (stellvertretend für die gesamte Ostpresse?) ironisiert und plakatiert die versuchte (Ver)Blendung durch das Regime:

Hauseigene Erzeugnisse des DDR-Journalismus werden den westlichen nicht bloß gegenübergestellt, letztere werden kategorisch ausgeblendet. Stattdessen werden eigene Wahrheiten produziert, mögliche Korrektive abgeblockt.

Die NEUE ZEIT-Collage wirkt massiv und unumstößlich, jenseits nur Schwarz. Als ob sie keine andere Wahrheit zuließe. Im stumpfen Errichten eines massiven Sichtschutzes, der jegliche Existenz jenseits der Mauer abblockt und ausblendet, spiegelt sich der Mauerbau selbst – ob nun als Bankrotterklärung oder logische Konsequenz kommunistischer Staatsbildung verstanden: Das Feindliche wird ausgeschlossen, das Eigene als das einzig Wahre kommuniziert.

Der Artikel ist dem DKP-Projekt entnommen, hier nachlesbar: Seite 4 Fragment vom Wort: Neue Zeit.

Hier gelangt man direkt in das Fragment vom Wort zu 1 Neue Zeit